PODCAST TRAUMSTATION
Die Traumstation gibt es jetzt auch als Podcast: In jeder Folge deuten drei Psychoanalytiker_innen einen Traum. Neue Folgen erscheinen jeweils am Sonntag Vormittag.
DIE EMAIL-TRAUMSTATION IST WIEDER OFFEN
Wir laden Sie herzlich ein, uns Ihre Träume zu schicken. Wir, The Missing Link und eine Gruppe von Psychoanalytikerinnen des PSZ, werden auf jeden Traum eine Deutung zurückschicken.
Angesichts der aktuellen Situation haben wir beschlossen, das letztjährige Projekt der Traumstationen mit der Email-Traumstation unter der schon bekannten Adresse
wieder zu aktivieren. Träume sind Verarbeitungen dessen, was uns innerlich und äusserlich beunruhigt, ängstigt und aus dem Rahmen wirft, sie stellen darüber hinaus in unterschiedlichen Medien – vom Bild zur Sprache und umgekehrt bis hin zu Berührungen, Geschmacks- und Geruchserinnerungen – immer wieder neue und andere Verbindungen zwischen den verschiedenen, auseinander gefallenen Aspekten unseres Lebens her.
Die TRAUMSTATION in
JUNGLE WORLD
Marco Kammholz hat ein Interview mit uns zum Podcast Traumstation gemacht. Es ist am 31. August 2023 unter dem Titel Der Traum ist ein Zugang zur eigenen Welt und zur Welt überhaupt erschienen. Wir bedanken uns sehr bei Marco und bei der Feuilleton-Redaktion von Jungle World sehr für Interesse. Und hier ist der Link – Schauen Sie es sich an!
Zum Artikel >>>
TRAUMSTATIONEN IM RADIO
Eine Stadt im Traum hiess eine Sendung von Radio ORF/Ö1, die am 14. Oktober 2020 zu unseren Traumstationen ausgestrahlt wurde.
Eine Stadt im Traum
GARTEN DER TRÄUME
Ein Augmented Reality Audio Walk von Rupert Jaud
Ausgestattet mit Kopfhörern starten die Besucher und Besucherinnen vor dem Theater und spazieren den Neumarkt hoch Richtung Hirschengraben.
Am Rechberggarten angekommen tauchen sie ein in einen Ocean aus Träumen. Durch eine spezielle App und einen Sensor den die Hörer:Innen auf dem Kopfhörer tragen ist es möglich die Klänge dreidimensional als virtuelle Schallquellen im Garten zu wahrzunehmen. Die Spazierenden begegnen den Stimmen, als wären sie als körperlose Fragmente im Garten vorhanden. Die Besucher:Innen können um sie herumgehen, bei ihnen verweilen oder zur nächsten Stimme weiter schlendern. Sie lassen sich treiben, fallen in eine Grube voll Löwen, flüchten sich in einen Tauchurlaub nach Stockholm oder finden sich im Haus der Großmutter wieder. Der Garten verwandelt sich in eine Traumwelt aus Bildern, Stimmen, Klängen und Tönen. Die Träume gehen ineinander über, überlagern sich, gehen auseinander hervor und fügen sich neu zusammen – ein Hörgarten der Träume.
Eine Walk im Auftrag des Psychoanalytischen Seminars Zürich anlässlich des Symposiums Agent:Traum Traum:Agent im Theater Neumark in Zürich am 29.11.2019.
Am Freitag, den 3. Februar 2023 hielten drei von uns – Heini Bader, Olaf Knellessen und Fabian Ludwig einen Vortrag am Psychoanalytischen Seminar Luzern mit dem Titel:
BRÜCHE, SCHWELLEN UND VERBINDUNGEN.
ZUR DEUTBARKEIT NICHT NUR VON TRÄUMEN.
Brüche – und mit denen hat es die Psychoanalyse zu tun, weshalb sie ja Analyse und nicht Synthese heisst – rufen das Bild von Ganzheit auf – einer in die Brüche gegangenen oder einer herzustellenden Ganzheit. Davon zeugen viele psychoanalytische Begriffe und ihr Verständnis – so wie das Selbst, die Identität, der Trieb, die Störung wie die Gesundheit usw. Vielleicht markiert die Unerfüllbarkeit des Wunsches jedoch eine Unbestimmtheit, die auch für den Traum gilt, dessen Arbeit dann durchaus im Sinne der Traumdeutung darin bestehen würde, immer wieder Bestimmungen, Konkretisierungen herzustellen, die Abschlüsse und keine Abschlüsse sind, die ankommen und nicht-ankommen gleichzeitig.
Das wirft die Fragen der Autorschaft nicht nur der Träumenden, sondern auch der Deutenden auf. Ist die immer so klar? Bei aller Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Klarheit, bleibt auch sie immer wieder offen.
Wir erzählen aus unterschiedlichen Perspektiven von den Erfahrungen, die wir mit Träumen machen, die uns an unsere Traumstation zugeschickt werden – die vielleicht nicht von ungefähr eine virtuelle ist –, die wir ohne das – immer ja auch scheinbare – Wissen um die Träumenden und ihre Biografien zu deuten versuchen. Was nicht heisst, dass dabei das Subjekt ausgeschlossen bleibt.
Hier sehen Sie das Video des Vortrags und der anschliessenden Diskussion
Nach dem Vortrag haben wir die Diskussion des Themas unter uns fortgesetzt, woraus folgende Ergänzung und Ausweitung wurde mit dem Titel:
Traum Trauma Traumama Traumamamama
Schon in Ihrer Einleitung schreibt die Träumerin: «Ich hätte niemals gedacht das ich einen Impuls bekommen werde euch einen Traum zu schicken , aber sobald ich ein so radikales Wort wie niemals denke weiß ich schon das alles anders kommen wird» – sie warnt uns also vor solchen Eindeutigkeiten.
Ein Spezialist für das Spiel mit solchen Eindeutigkeiten war und ist James Bond. Nicht nur die Filmtitel, unter denen er auftritt, markieren diese Uneindeutigkeiten, wenn es beispielsweise hiess You only Live Twice oder natürlich extra für diesen Traum kreiiert: Never Say Never again. Auch das immer aufs Neue gespannt erwartete Arsenal seiner Waffen und Gadgets besteht aus Dingen, die nicht einfach das sind, was sie zu sein scheinen, sie sind auch nicht einfach Fakes, sondern Spielzeuge, so wie jede neuerliche Rettung der Welt schon der Auftakt für das Szenario ihrer nächsten Apokalypse ist, und ebenso wenig waren und sind die Frauen einfach Spielzeuge, sondern schillernd faszinierende Inkorporationen dieses obscure objet du désir, wie es Buñuel genannt hat. Ihre erregende Anziehung besteht gerade darin, nie so recht fassbar zu sein, ebenso tödliche Gefahr wie verheissende Rettung und Sehnsucht zu sein und wenn sich Bond und sie am Ende regelmässig in den Armen liegen, birgt diese erlösende Idylle schon den Kitzel des nächsten Abenteuers in sich. Und Bond selbst ist seinerseits nicht nur Fels in der Brandung, auch er ist nicht identisch mit sich selbst, setzt vielmehr schon zur Metamorphose als Jane Bond an.
Der vorliegende Traum ist ja eine solche Agentenstory, bei der es nie so ganz klar ist, wer wer ist, wer wen umbringt, es geht um Sex, um eine Explosion, die alles in Brand steckt, wie um die Frage, ob man entkommt oder es einen erwischt und was eigentlich es ist, das einen erwischt hat. So ist der Hinweis der Träumerin in der Einleitung kein Wunder, dass solche Eindeutigkeiten wie das niemals trügerisch sind, und weiter ist es nicht erstaunlich, dass sie selbst vor diesen nicht gefeit ist. Denn die ersehnte Klarheit, von der sie schreibt, dass sie von den Nebelkerzen verwischt werde, ist in ihrer Eindeutigkeit ihrerseits bereits Illusion und damit selbst signifikante Nebelkerze.
Deshalb erstaunt es nicht, wenn der Traum mit einer Leerstelle endet – hier kurz zitieren. Und natürlich können wir versuchen, diese Leerstelle mit der gebotenen Vorsicht wieder zu füllen. Da könnte man beispielsweise auf einen möglichen Missbrauch durch den nächsten Mann der Mutter oder auf die Ungewissheit über die Autorschaft des sexuellen Wunsches hinweisen. Und sicherlich liessen sich noch weitere Zusammenhänge assoziieren.
Wir können aber auch bei dieser Leerstelle und ihrer Kennzeichnung eines Ungewissen bleiben und davon ausgehen. Dann wäre man sehr schnell an eine andere Leerestelle erinnert, die Freud nicht von ungefähr in der Traumdeutung beschreibt, und zwar in deren 7. Kapitel, wenn er vom Wunsch und seiner Entstehung, von der Konstituierung des Wunsches spricht. Denn dieser Wunsch geht – so wie er ihn dort beschreibt – von einer Leerstelle aus. Sie wird durch eine Erregung und das anschliessende Befriedigungserlebnis markiert, das eine Erinnerungsspur hinterlässt. Und der Wunsch ist nichts anderes als das: der Versuch der Wiederbesetzung dieser Erinnerungsspur. Er bezieht sich also nicht auf das Erlebnis selbst, sondern auf seine Erinnerungsspur. Das Erlebnis ist nicht wieder zu haben. Das Befriedigungserlebnis fällt also weg bei diesem psychischen Konstrukt des Wunsches, es hinterlässt eine Leerstelle, die in der Psychoanalyse ihre Formulierung in dem Votum findet: Das Objekt – als Objekt des Wunsches – ist immer das verlorene.
Die Anonymität des Traumes spiegelt sich damit nicht von ungefähr in der Anonymität des Wunsches. Es ist weniger ein konkreter, denn ein unbestimmter und diffuser. So wie es Freud für den Nabel des Traums formuliert, der als Mutterbrust ja nicht diese konkrete Brust dieser konkreten Mutter, aber auch nicht die allgemeine, auch nicht die frühkindliche, sondern diese Chiffre meinte, die man so fassen kann, die sich gleichzeitig so nicht fassen lässt.
Traum Trauma
Die Erregung des kleinen Kindes ist ebenso wenig fassbar – für das Baby selbst wie auch für die Eltern nicht, die darunter besonders leiden. In ihrer Unfassbarkeit ist sie traumatisch, was den Boden nicht nur für viele Therapien, sondern für noch mehr Ratgeber und heute Apps bereitet. Es ist diese Erregung, die auch den Traum ausmacht und antreibt. Es ist die Erregung, in die der Traum uns versetzt, wenn wir ihn erzählt bekommen. Und in beiden Fällen – bei der Träumerin wie auch bei Analytikerin – ist diese Erregung engstens mit der Unwissenheit, mit dem Nicht-Fassbaren verschränk, das uns da packt und angeht. Und so ist Morgenthalers Bemerkung gut nachvollziehbar, dass die Einforderung der Assoziationen beim Analysanden vor allem Abwehr dieses Geschehens ist, das sich um die Anonymität des Traums herum gruppiert, um diese Leerstelle herum sich entfaltet.
Und wie wir es den James-Bond-Filmen schon entnommen haben, will diese Erregung als Wunsch nicht nur befriedigt, d.h. abgebaut und beruhigt werden, vielmehr trägt sie in sich bereits den Wunsch nach neuer Auf- und Erregung, nach neuem Kitzel in sich, was Freud später mit dem Postulat des Konstanz-Prinzips einholte, das markiert, dass der Wunsch nicht mit dem Abbau der Erregung befriedigt wird, dass vielmehr die Erregung selbst Gegenstand des Wunschs und Wünschens ist. Damit hat der Wunsch nicht nur seine eigene Abschaffung zum Ziel, sondern lässt das Wünschen und seine Erregung selbst zum Ziel werden. Und man könnte sich durchaus die Frage stellen, inwieweit das nicht auch fürs Trauma gelten könnte. Die Geschichten um die Geheimagenten der satanic panic, die in der Schweiz in der Klinik Littenheid ein buntes Treiben entfachte, könnten ein Hinweis darauf sein.
Nachdem der Tanz der Deutungen um die Leerstelle begonnen hat, schreibt die Träumerin, dass sie Theaterpädagogik studiert. Wunderbar. Denn das Theater ist unzweifelhaft ein performatives Medium zur Konkretisierung und Medialisierung von etwas Unbestimmten. Denn es werden Geschichten auf die Bühne gebracht, die sich von Aufführung zu Aufführung, von Inszenierung zu Inszenierung, von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit verändern. Das Verhältnis von Nebelkerzen zu Klarheit wird damit ein anderes, insofern die Klarheit nicht mehr eindeutige Antwort, sondern Form einer Konkretisierung des Unbestimmten ist, zu der es immer noch andere gibt, was auch heisst, dass die Konkretisierung und ihre Klarheit das Unbestimmte weiter- und übertragen, es zu einem Motor für weitere Konkretisierungen machen, der nicht aufhört anzutreiben. So ist nicht erstaunlich, dass der Traum mit dieser Leerstelle endet, die andeutet, dass es weitergeht.
Dass der Traum auch ein performatives Medium ist, also eines, in dem der Körper im Zentrum der Darstellung steht, kann man am Nachtwandeln sehen, das ja ein Phänomen ist, in dem die Motorik nicht ganz ausgeschaltet ist – wie es Freud ja als eine Bedingung für den Traum beschrieben hat –, dabei jedoch nicht das Bewusstsein als ihren Antrieb ausweist, sondern das primärprozesshafte Geschehen des Traums.
Mit anderen Worten wäre die Leerstelle am Ende des Traums der Traum selbst, der Wunsch und das Ereignis {der Bedürfnisbefriedigung), das nicht einholbar ist, das Trauma. Was weiter heissen würde, dass das Ende gleichzeitig der Anfang ist, die Übertragung auch in unserem Setting der Traumstation keine eingeschränkte, sondern eine umfassende, eine umkreisende und tanzende, ist. Sie wäre damit das, was Freud als Überraschung bezeichnet hat, die ihn in Form der Ohrfeige von Dora erreicht hat. Die Leerstelle wäre damit ein Loch, auf dessen Rand der Traum tanzt, ein Loch, dessen Rand ausufert, gar nicht anders kann als auszuufern und zur Fläche zu werden. Sie ist die Markierung der Anonymität des Traums.
Heini: Olaf schreibt zu Beginn: „Schon in Ihrer Einleitung schreibt die Träumerin: «Ich hätte niemals gedacht dassich einen Impuls bekommen werde euch einen Traum zu schicken, aber sobald ich ein so radikales Wort wie niemals denke weiß ich schon dass alles anders kommen wird» – sie warnt uns vor solchen Eindeutigkeiten.“
Es gibt Formulierungen, die mich aufhorchen lassen. Die Träumerin kennt unseren Podcast, hört ihn mit Spannung und Freude. Sie ist dem bunten Geschehen im Podcast also zugewandt. Und doch dann: „Ich hätte niemals gedacht das ich einen Impuls bekommen werde euch einen Traum zu schicken“
(Konjunktion, z.B. „dass“, auch: Bindewort, Fügewort; Junktion, ist in der Grammatik die Bezeichnung für eine Wortart, die syntaktische Verbindungen zwischen Wörtern, Satzteilen oder Sätzen herstellt und zugleich logische oder grammatische Beziehungen zwischen den verbundenen Elementen ausdrückt. Wikipedia
Als Artikel, (z.B. „das“, in der traditionellen Grammatik auch Geschlechtswort oder Begleiter, wird ein Wort bezeichnet, das regelhaft in Verbindung mit einem Substantiv gebraucht wird und es vor allem hinsichtlich seiner Definiertheit kennzeichnet. Wikipedia)
Das erstaunt mich. Ich würde sofort verstehen, wenn sie z.B. sagen würde, dass sie das Geschehen im Podcast mit Spannung und Freude verfolgen würde, aber beim Gedanken, selbst einen Traum einzureichen, würde sich etwas in ihr sträuben. Aber einen Impuls bekommen, einen Traum einzureichen? Beim Wort Impuls denke ich sofort an Impulshandlung, also z.B. an das dann im Traum vorkommende Werfen von etwas in Wut, wobei im Traum dann dieses Etwas Karriere macht von einem gebrauchten Papiertaschentuch zu einem Molotowcocktail.
Die Träumerin schreibt in diesem Satz vielleicht auch, was der Stellenwert der Impulshandlung für sie ist: ein sehr breiter nämlich.
Jetzt habe ich mich verrannt. Eigentlich wollte ich nur zum Ausdruck bringen, dass die von der Träumerin gewählte Ausdrucksweise so eigenartig ist, dass „etwas dahinterzustecken scheint“. Was? Auf empfangenen (bekommen) Impuls reagieren tönt ein wenig nach Maschinenmodell, ich denke an Ingenieurskunst, wo mit Ventilen gesteuert wird und wo ein kausales Verhältnis im Zentrum steht. Dieses würde dann mit „dass“ weitergeführt (der Impuls hat mich so überkommen, dass ich trotzdem einen Traum eingereicht habe). Doch genau dieses Wort (die Konjunktion) das für Verbindung sorgen soll, ist im (ganzen) Text immer so geschrieben, dass es eben auch ein Artikel ist. Und wenn ich mir das plastisch vorstelle, dann denke ich beim Artikel an eine recht starre, fest gefügte Verbindung (das Kind, fertig), bei der Konjunktion jedoch an eine Art von Scharnier, wo Dinge in Verbindung gebracht werden, die ohne weiteres auch in anderen Verbindungen sein könnten (hat mich abgestossen/gefallen, dass …).
So könnte man Olafs Überlegungen („die Träumerin warnt vor solchen Eindeutigkeiten“) bestätigt und mehr noch: in die Sprache der Träumerin tief eingeschrieben sehen. Es wird ein Konflikt sichtbar: da wo Beziehung geschaffen werden könnte (Konjunktion), herrscht die Starre des Artikels. Vielleicht so, wie in der Impulshandlung das Scharnier des Wählen-Könnens nicht zur Verfügung steht, weil der Impuls (Neid-Wut) starr mit der Handlung (Taschentuch-Molotowcocktail werfen) verbunden ist.
Also auch semantisch gesehen scheint die Lesart von Olaf ins Schwarze zu treffen.
Ich verstehe davon leider fast nichts, aber mir scheint, wenn etwas so tief in die Sprache eingeschrieben ist, könnte gut sein, dass es eben auch tief ins Psychische eingeschrieben sein könnte und dann denke ich an „etwas früh Erfahrenes“, das sich so manifestieren könnte.
Traum Trauma Traumama
Die Formen der Konkretisierungen dienen dazu das Unbestimmte greifbarer und damit handhabbarer zu machen. Sie sind dabei – wie es die Träumerin selbst schon gleich zu Beginn der Traumerzählung erwähnt – in Gefahr, eine Klarheit zu schaffen, die ihrerseits wieder Nebelkerze ist. Das Unbestimmte steht dabei immer schon im Schnittpunkt der Forderung nach einer Bestimmung, mit anderen Worten steht das Unbewusste im Zeichen des Anspruchs auf ein Wissen. Und dieser Anspruch wird lauter, je weniger wir wissen, er spiegelt sich in der Angst, die wir als Psychoanalytiker immer auch haben – trotz aller Beteuerungen für wie wertvoll wir die Träume erachten und was für ein Geschenk der Analysanden sie an uns sind.
Und dieser Anspruch auf Wissen äussert sich nicht zuletzt darin, die Erregung des Unbestimmten zu befriedigen, sie zu einem Ende zu bringen. Die Konzeption des Wunsches, der durch seine Befriedigung erfüllt und damit aufgehoben wird, der sich durch seine Erfüllung selbst abschafft, setzt sich fort im Begriff eines Wissens, das eindeutig und abschliessend verstanden wird. Dieses kann sich beispielsweise in der schon erwähnten Sichtweise zeigen, man müsse eine Träumerin schon längere Zeit analytisch kennen, bevor man einen Traum von ihr deuten könne, wie auch in der Annahme, dass der Traum eine vollständige und damit abschliessende Deutung haben könne. Weiter kann sich ein solches Verständnis in der bekannten Ausrichtung psychoanalytischer Weiterbildung zeigen, das auf ein Wissen ausgerichtet ist, das die Studierenden von den Lehrenden vermittelt bekämen und sich aneignen müssten, wobei eine solche Hierarchie von Wissen und Unwissen im gleichen Zug zu einer innerhalb der Ausbildung und der Institute wird. Es zeigt sich weiter in der schon von Deleuze/Guattari kritisierten Ausrichtung auf das Unbewusste als eines, das in der Familie seinen Grund und seine Auflösung finden würde, und in seiner gleichzeitigen Verkennung als Wunschmaschine, die dieses Unbestimmte und Unbewusste eben ist und weit über die Familie hinausgeht. Dabei wird weiter verkannt, dass das Trauma nicht einfach Missbrauch ist und dieser nicht einfach ein konkreter, nicht einfach ein Hard-Fact sein muss – was er durchaus sein kann –, sondern das Traumatische auch bei ihm in der Unbestimmtheit des Ereignisses, in dessen Unfassbarkeit besteht.
Konkrete Figur im familialen Umfeld, auf das sich die Klinik der Psychoanalyse immer mehr zurückgezogen hat, ist die Mama, die damit zur Traumama wird und das Wissen, das sie anzubieten hat – man könnte auch sagen: das sie bieten muss – besteht inzwischen darin, dass man glaubt, darüber verfügen zu können, das man schon zu kennen glaubt, bevor die Therapie oder Analyse überhaupt begonnen hat, nach dem man schon inquisitorisch sucht, wenn Patientinnen und Analysanden anfangen ihre Geschichten zu erzählen, die schon als bare Münzen genommen werden und ebenso bare Antworten bekommen zu müssen scheinen.
Traum Trauma Traumama Traumamamama
All dem gegenüber hat der Traum unserer Träumerin an sein Ende die Leerstelle gesetzt, von der sie zu Beginn in James-Bond-Manier schon erzählt hat: Never say never again.
Der Traum macht also einen Sprung: Vom Anfang zum Ende und umgekehrt. Ob er dabei in die Leere springt, ist nicht so sicher. Aber er erzählt davon, dass das Trauma nicht einfach das Konkrete des Ereignisses ist, dass es vielmehr darin besteht, dass dieses sich nicht fassen lässt, dass die Gewissheit dessen, dass es der Fall war, die Unsicherheit dessen in sich und weiter und überträgt, dass es nicht zu fassen ist. Als Ereignis ist das Trauma nämlich etwas, das nicht vorherzusehen ist, das nicht gekannt wird, das von irgendwoher kommt und einen packt, das erst mit Verzögerung und im Nachhinein gefasst werden kann. So ist das Ereignis ein Loch, das erst von seinem Rand aus ins Auge genommen werden kann, es ist ein Loch, um das man nicht anders kann als zu tanzen.
Das Ereignis selbst ist unfassbar, kann erst mit zeitlicher Verzögerung ins Auge gefasst werden. Und in diesem delay entsteht das Ding, diese Geschichte, dieser Text, als Textur und als Stoff, der sich über das Loch stülpt, das sich über das Loch erhebt, das aber immer in ihm droht – siehe den Fetisch, der über die Kastration hinwegtäuschen soll, den Schrecken zur Schönheit und zur Lust macht. Das ist die Bewegung, wie sie schon die Hysterie erzählt, die aus Nichts Alles machen kann, wobei dieses Alles das Nichts weiter in sich trägt. Es ist diese Ohrfeige, die Dora nicht nur dem Herrn K, sondern auch Freud gegeben hat, die ihm Anlass wurde, etwas zu entdecken, ihm also etwas zu sehen gab, nämlich die Übertragung als wesentlichen Motor des psychoanalytischen Prozesses, aber nicht nur davon.
Heini: Ich bin beim Rumschweifen auf einen Text von Robert Heim gestossen, der vermutlich im „Widerspruch“ erschienen ist und den Titel trägt:
Encore: Jacques Lacan trifft Alfred Lorenzer. Nachforschungen zu einer „verlorenen Zeit“*
daraus:
„Und so ist Encore zudem ein Symbol für die Wiederholung, ob Zwang oder nicht. In der Welt der Musik war Encore denn auch zunächst, seit dem 18. Jahrhundert, ein Aufruf zur Wiederholung einer Opernarie, heute zum Ritual der Zugabe geworden, dem sich einige Musiker dadurch entziehen, dass sie aus dieser Zugabe eine eigene Kunstform machten. Encore, das ist aber ebenso eine Chiffre für das Genießen, zumal für dasjenige des Don-Juanismus:
»Aber weil er (Don Juan) alle mit gleicher Heftigkeit und jedes Mal mit seiner ganzen Person liebt, muss er diese Gabe und diese Vertiefung wiederholen. Daher hofft jede, ihm zu geben, was ihm bis dahin niemand gab. Sie alle täuschen sich jedes Mal völlig, und es gelingt ihnen lediglich, ihn das Bedürfnis nach einer Wiederholung spüren zu lassen. ‚Endlich’, ruft eine, ‚habe ich Dir die Liebe geschenkt!’ Ist es verwunderlich, wenn Don Juan darüber lacht: ‚Endlich? Nein, nur einmal mehr!« (Camus, 1942, S. 86).“ (Robert Heim, Encore: Jacques Lacan trifft Alfred Lorenzer. Nachforschungen zu einer „verlorenen Zeit“* (http://www.theoriekritik.ch/?p=2226)
Wenn Freud nämlich das Telefon als Modell zur Übertragung – sic! – des Unbewussten zwischen Analysanden und Analytiker heranzog, die man sich als eine vom Teller (Sprechmuschel) zum Receiver (Hörmuschel) vorstellen muss, wobei dieser Teller immer woanders, immer irgendwo und letztlich nicht zu fassen ist, dann hat er dort schon einerseits dieses Unbestimmte, diese Anonymität ins Zentrum gestellt und andererseits die Übertragung als eine mediale ausgewissen. Die Sprünge, die da gemacht werden, sind medialer Art.
Das legt es nahe vom Loch zur Lochkarte zu kommen, zu dieser Form der Codierung, mit der das Digitale ihren Anfang nahm und gleichzeitig darauf verweist, dass Codierung wie auch der Wunsch sich längstens von dem Ereignis abgelöst haben, dass sie sich längstens auf dieses Loch beziehen, das vom Objekt als verlorenes markiert wird. Und dieser Code schreibt sich weiter und weiter, setzt sich um in Texte ebenso wie in Bilder wie in Töne wie in andere Sinnlichkeiten und Sinne.
Das Loch weist als Code darauf hin, dass die Traumama nicht einfach der Ort des Traumas ist, sondern einer, der nicht bei sich selbst bleibt, sondern weitergeht und sich überträgt zur TRaumamamamama, sich immer weiterschreibt und schreibt und gar nicht anders kann als sich weiter zu schreiben.
Damit wird das Loch, diese Leerstelle in dem wunderschönen und immer ergiebiger und sich immer noch mehr und weitererzählenden Traum zur Traummaschine und zur Traumdeutung der Maschine – worauf Freud ja indirekt schon dadurch hingewiesen hat, dass er die Traumarbeit als ständige Umformung ins Zentrum seiner Traumdeutung gestellt hat.
Heini: Zufällig und unverhofft – was die Hoffnung ja nicht ausschliesst, ganz im Gegenteil – bekamen wir kurz nach diesen Zeilen einen Traum geschickt, der die mediale Produktion, besser fvielleicht die Produktion der Medialität wunderschön zur Darstellung bringt. Mit Erlaubnis des Träumers geben wir hier den Traum wieder:
Liebes Team der Tram Station,
Ich hatte letzte Nacht einen beängstigende Traum. Ich würde mich freuen, wenn ihr eine Traumdeutung vornehmen würde.
Ich habe geträumt, dass mein ganzer Körper von Ästen durchzogen ist. Es fühlte sich so an, als würden sämtliche Bereiche meines Körpers, wie Arme, Beine, Kopf, Bauch, Brust und Rücken von einem Geflecht (ähnlich einem Rizom) durchzogen sein. Ich war bewegungsunfähig und fühlte mich steif und starr. In meinem Rücken war ein ganz besonders großer Ast zu spüren. Es fühlte sich so an, als würde dieser Ast durch mein Rückenmark durchführen, was auch große Schmerzen verursachte. Das löste große Angst in mir aus.
Welche Bedeutung könnte dieser Traum haben?
Ich freue mich über eine Antwort von euch!
Vielen Dank!
Die Deutung wies zunächst auf die Sprengkraft des Rhizoms – einerseits mit Verweisen auf die Rhizombildung bei bestimmten Bambus-Arten, andererseits mit deren Verwendung als Folter für rebellierende Sklaven durch Sklavenhalter auf Réunion. Die Steifheit und Starre durch den «ganz besonders grossen Ast» im Rückenmark des Träumers dürfte im Konflikt stehen mit den Verzweigungen, Verbindungen, Assoziationen und Bewegungen des Rhizoms, das diese Unbeweglichkeit sprengen könnte. Von daher schien die Anrede «Liebes Team der Tramstation» schon Motto für diesen Traum und Programm für die erwünschte Bewegung zu sein.
Von dort geht die Deutung folgendermassen weiter: «Sie schreiben: ‘Ich hatte letzte Nacht einen beängstigende Traum. Ich würde mich freuen, wenn ihr eine Traumdeutung vornehmen würde.’
Das hat uns beschäftigt!
Eine „Traumdeutung vornehmen“, das tönt ein wenig, als wären Psychoanalytiker Chirurgen, die einen Eingriff vornehmen; das ist ein Setting, wo der Patient sozusagen nicht da ist, wie es ja in unserem anonymen Setting tatsächlich ist, allerdings ist der Patient des Chirurgen anästhesiert, das Verhältnis von aktiv und passiv ist so gegeben. Auf der anderen Seite konjugieren Sie so, als würden sie gerne aktiv mitarbeiten (wie es ja in der Psychoanalyse der Fall ist), der Kompromiss zwischen Experten-Ehrfurcht und Lust am Mitdeuten würde dann genau so so ausgedrückt, wie Sie es gemacht haben: ‘ihr eine Traumdeutung vornehmen würde’ als Kompromiss zwischen ihr eine Traumdeutung vornehmen würdet und ich eine Traumdeutung vornehmen würde. Und so finden wir wieder denselben Konflikt zwischen dem in sich Einschliessen von Möglichkeiten und sich Zugestehen von Bewegungsraum, womit wir wieder bei der Sprengkraft des Rhizoms wären. Wir wollen Sie nicht mit Stoff überhäufen, aber falls Sie interessiert sind: Rhizom ist der Titel eines poststrukturalistischen Textes von Gilles Deleuze und Félix Guattari: Die Kritik der Autoren am hierarchischen „Baummodell“ und ihr Vorschlag eine unhierarchische Wissensproduktion im Sinne von Rhizomen zu wagen, bietet ja ebenfalls Stoff für die Weiterführung des in Ihrem Kompromiss angedeuteten Konflikts zwischen Hierarchisch-Autoritärem (Chirurg) und dem Versuch einer neuen, nicht hierarchischen Produktion von Wissen. So würde zutreffen, was Sie in Ihrem Anliegen: «Ich würde mich freuen, wenn ihr eine Traumdeutung vornehmen würde» angedeutet haben, nämlich den Wunsch, aus der gemeinsamen Arbeit von Patient und Psychoanalytiker ein Wissensgeflecht entstehen zu lassen, das die klassische Autorschaft – und ihre Hierarchie – überwindet. Ob dies in unserem Setting möglich ist?»
Wir sind der Meinung, dass das Setting unserer Traum- und Tramstation dies in der Tat nicht nur möglich, sondern vor allem sichtbar macht. In seiner Medialität ist es nämlich eines, das die Frage der Autorschaft – die wir gerne als eine der Anonymität bezeichnen, als eine, die sich von woanders her schreibt – ins Augenmerk rückt. Denn dabei zeigt sich nicht einfach der Konflikt in hierarchischen Autoritätsstrukturen, sondern «mit dem Versuch einer, nicht hierarchischen Produktion von Wissen» skizziert sich eine unhierarchische Art von Autorschaft, die sich nicht nur medial konstituiert, sondern von der Medialität konstruiert wird.
Und ganz ähnlich ist es mit dem Verhältnis von sexuellem Wunsch und Trauma, von dem wir ja bei den Deutungen zum ersten Traum ausgegangen sind. Auch da dürfte es keine Hierarchien geben, schon gar nicht solche von richtig und falsch. Vielmehr dürfte es viel eher so sein, dass beide Aspekte sehr miteinander zu tun haben, nicht auseinanderfallen, sondern zueinander gehören. Beide Aspekte markieren Autorschaften, die keine eindeutigen und klar verfasste sind, beide dürften vielmehr von diesem Moment der Leerstelle und der damit verbundenen Ungewissheit ausgehen – die Sexualität ebenso wie das Trauma, nicht zuletzt deswegen, weil die Sexualität nicht eindeutig ist, sondern Lust und Angst, Anziehung und Abstossung miteinander verschränken – und das sein, was Freud über den Trieb sagte: dass er Arbeitsanforderung an den psychischen Apparat sei. Es geht um diese Arbeitsanforderung, um diese Notwendigkeit ständiger Ver- und Umarbeitung, um ständiges Neu-Formatieren dieses Verhältnisses. In dem Sinn kann es auch nicht darum gehen, das Trauma ständig vermeiden zu wollen wie das von solchen Bemerkungen impliziert ist, dass Deutungen der Sexualität traumatisierend – und insofern zu vermeiden – seien. Es dürfte vielmehr darum gehen – wie es ein Analysand neulich sagte: Es ist nötig, to take the risk. Ohne das dürfte es kaum gehen. Weder die Analyse noch das Leben.
Mit unserer Traumstation unterstreichen wir den medialen Charakter dieses Unternehmens, das auch der Traum ist, und wir werden es noch weitertreiben, indem wir zusammen mit der Maschine des Chat GPT, der künstlichen Intelligenz – an die sich die Frage knüpfen könnte, inwieweit Intelligenz nicht immer schon eine künstliche und künstlerische ist – Träume deuten werden.
Mit unserem Titel Traumamamama wollen wir darauf hinweisen, dass der Vatermord als Avantgarde oder als treibendes Moment der Moderne sich mit der Konzeption der Traumama zum Klassiker zu wandeln versucht – zu einer scheinbar feststehenden Erkenntnis und Wahrheit. Der Abriss der Tradition als Vatermord, diese Infragestellung des scheinbar Gegebenen und seiner Autorität wird zu einer Verfestigung und Fundamentalisierung, die als Kontrast und als Antwort zu diesem Nichts steht, das durch den Vatermord entsteht, das natürlich kein leeres Nichts ist, sondern der Ort des verlorenen Objekts, mit dem es die Psychoanalyse zu tun hat. Damit wird die Psychoanalyse zur Klassik, bzw. zu deren Karikatur.
Denn der Vatermord – Freud hat die Psychoanalyse ja eng mit dem Mythos des Ödipus verbunden – eng verbunden und verschränkt mit der Kastration, um die es dabei doppelt geht. Zum einen haben wir mit Freud – und natürlich mit Ödipus – die Kastrationsdrohung, die zunächst zu seiner Aussetzung dann zum Vatermord des Ödipus führt. Dieser Vatermord ist nicht nur Rache, sondern vollzieht die Kastration erst richtig, weil er ja die Herkunft abschneidet, weil er die Abstammung tötet, von der Herkunft und der Abstammung ablöst. Das ist die Komplettierung der Kastration: Keine Herkunft, keine Heimat mehr zu haben! Sie ist der gemeinsame Nenner der verschiedenen Gründermythen – nicht nur von Ödipus, auch von Moses, auch von Siegfried und besagt, dass die Heimat verloren ist, dass man sie immer wieder neu suchen muss, wobei dieses Suchen nicht eines ist, bei dem es darum geht, dass man etwas findet, wiederfindet, was gegeben ist, sondern dass man es findet, indem man es neu bildet. Die Heimat und die Herkunft sind nie einfach gegeben, sondern müssen immer wieder gemacht und hergestellt werden. Das ist der Hintergrund dessen, was mit dem Titel Traum, Trauma, Traumamama, Traumamama gemeint ist: Dass sowohl das Trauma wie die Mama vor allem eines sind: Versuche etwas festzumachen und festzuzurren, was verloren ist, Versuche aus dem Nichts – diesem leeren Ei ohne Schale, wie es die griechische Mythologie nannte – wieder ein Alles zu machen. Versuche die Avantgarde zur Klassik zu erheben. Dieses Alles haben wir in der scheinbaren Ubiquität des Traumabegriffs und der Traumatherapie. Sie ist gegeben, sie ist scheinbar immer schon gegeben, man kann sie schon diagnostizieren, bevor man den Patienten/Analysanden gesehen hat. Gleichzeitig ist dieses Alles illusionär und verschliessend, abschliessend: Wenn man Alles hat, dann gibt es nichts mehr. Demgegenüber hält das NIcht-Alles – das Lacan, der es von Kant hat, mit der weiblichen Sexuierung verbindet, was in dieser Verquickung mit dem Geschlecht eher fraglich sein dürfte und als strukturelle Position zwischen dem Hysterischen und dem Zwanghaften vielleicht sinnvoller wäre –, an dem Verlust fest, daran, dass dieser nicht auflösbar ist, sondern in jeder Formation weitergetragen, in jede Formation übertragen wird. Das ist das, was die Maschine ausmacht, das ist der Code, diese Abfolge von Null und Eins, wobei die Eins immer im Zeichen des Null steht, also ein gewisses Minus in sich trägt, das sich ständig zum Plus wandelt, da es gar nicht anders kann, als sich weiter fortzuschreiben. Das ist die Maschine, der wir einerseits als Traummaschine nachgehen und deshalb interessiert uns auch die andere Maschine, nämlich dieser Code, diese KI, die immer weiter assoziiert und dissoziiert und es ist eben kaum anzunehmen, dass sie an ein Ende kommen kann. Was ja kein Nachteil ist.
Mit dem Vater ist zudem die Ungewissheit im Spiel: Pater incertus. Nun ist es aber so, dass die Mutter, die ja dann als Traumama eine sichere Stelle zu sein scheint – vielleicht müsste man auch eher sagen: eine solche zu geben sich hergeben muss – längstens so sicher auch nicht mehr ist. Zum pater incertus gesellt sich mit den modernen Reproduktionstechniken zunehmend die mater incerta. So steht die Herkunft immer mehr im Zeichen eines Nicht-Fassbaren, im Zeichen eines Nichts.
Dieses Nichts ist nicht leer, es hat vielmehr brennende Augen hat, so wie es Dürer in der Melencolia dargestellt hat, die umgeben ist von den Geräten und Maschinen ihrer Zeit, die nicht nur der Entdeckung, sondern der Herstellung der Welt dienen. Der Vatermord ist wie der Wunsch Maschine, dieses Nichts des verlorenen Objekts, das als verlorene Heimat an der Wiege der Kultur steht, in eine Produktion von Heimat umzuwandeln, einer Heimat, die man nie ganz haben wird. In der Kunst ist die Maschine nicht zuletzt von Jean Tinguely ins Spiel gebracht worden – als Bild oder als Modell für die Kunst, für das Leben. Freud hat sie als Apparat zum Modell für die Psyche gemacht. In Zürich steht am See eine dieser Maschinen Tinguelys mit dem bezeichnenden Namen „Heureka“. Sie rattert und quietscht dort immer wieder zum Vergnügen nicht nur der Kinder, sondern der meisten Besucher und Passanten. Neuerdings wurde sie gerahmt oder eingehagt mit Buchsbäumen: Eingrenzen muss sein, natürlich schön ordentlich mit akkurat geschnittenen Buchsbäumen. Dazu hin wird die Maschine nun regelmässig geölt und geschmiert, so dass sie auch nicht mehr quietscht und rattert, nicht mehr den Anschein von Eiern macht. Rundlaufen ist angesagt. Tourner en ronde. Das ist das Traumamamama der Kunst und von Tinguely. Wir wollen nur hoffen, dass er es nie sehen und hören muss.
Und wenn wir schon bei der Herkunft als einer nicht-fassbaren, sich entziehenden sind, dann liegt es nahe auf die Entstehung des Menschen aus Lehm oder anders gesagt: aus Ton hinzuweisen. «Ton» ist vielleicht die passendere Bezeichnung, weil sie doppeldeutig ist, nicht nur den Lehm, sondern auch den Ton meint, diesen Odem, den Gott ihm eingehaucht hat. Ton verweist also auf diese Doppeldeutigkeit vom Ungreifbaren, uns Einhüllenden des Tons, des Klangs, und vom Greifbaren der Materie, die dieses Nichts des leeren Eis ohne Schale zu materialisieren versucht, nicht anders kann, als es zu versuchen und zu versuchen, Traumamamamama …
Und hier noch ein Nachtrag kurz vor Silvester 2023 – und im neuen Jahr geht es sicherlich weiter:
- Das blinde Huhn hört von der Nachträglichkeit
Die Lektüre der ersten paar Seiten von Jean Laplanches Buch „Nachträglichkeit“ hat mich auf die Idee gebracht, sein Denken (soweit ich es begreife) auf den Traum anzuwenden.
Zunächst einmal ganz allgemein: das Erlebnis dieser Lektüre war es, dass der Autor den Lesern vorführt, dass es Psychoanalyse nicht gibt, sondern dass sie „geschaffen“ wurde, dass sich psychoanalytische Theorie „entwickelt“ hat. Wohl allgemein bekannt ist, dass Freud zunächst davon ausging, dass der (hysterischen, andere „gab“ es noch nicht) Neurotikerin in ihrer Kindheit sexuelle Übergriffe geschehen seien. Später dann – eben in der Nachträglichkeit (dazwischen liegt in dieser frühen Theorie des Falls Emma die Pubertät) gibt es eine „Triggersituation“ und die Erinnerung an das Geschehen ist mit weit mehr psychischer Energie verbunden als das ursprüngliche Erleben. Dies ist – verkürzt gesagt – die spezielle Verführungstheorie von Freud, die vom psychoanalytischen Mainstream als „vorpsychoanalytisch“ bzw. „vorgeschichtlich“ aufgefasst wird, nachdem Freud sie (im Zusammenhang mit der Entwicklung des Ödipus-Komplexes und vielleicht auch aus Gründen der Konformität) widerrufen hatte.
Laplanche belebt diesen „toten Flussarm“ der Freudschen Theorie, indem er sie zum Ausgangspunkt seiner allgemeinen Verführungstheorie macht; einer der dabei massgeblichen Begriffe ist die Nachträglichkeit, ein Begriff, der es in der Freudschen Theorie nicht ganz wirklich zu einem zentralen Begriff gebracht hat, der aber für Laplanche absolut zentral ist. Schon mit einem schielenden Auge an den Traum gedacht: die Zweizeitigkeit ist dem Begriff der Nachträglichkeit inhärent und da kommen wir an der Zweizeitigkeit vom neidisch-wütenden Wurf eines gebrauchten Taschentuchs in einen Wohnwagen und dem destruktiv-wütenden Wurfs eines Molotowcocktails einfach nicht vorbei.
Wenn Laplanche Freud (1895) zitiert: „Es liegt hier der Fall vor, dass eine Erinnerung einen Affekt erweckt, den sie als Erlebnis nicht erweckt hatte, weil unterdes die Veränderung der Pubertät ein anderes Verständnis des Erinnerten ermöglicht hat“ (Freud 1950c [1895], S. 447), meint er (bezogen auf unseren Traum: „Die Szene II (Taschentuch-Wurf, H.B.) wird nur traumatisch, weil die Erinnerung daran traumatisiert einerseits, weil sie mehr Erregung provoziert als die Szene selbst, und andererseits, weil sie von innen kommt.“
Die Antwort der Träumerin könnte dazu verführen, diese Form der Zweizeitigkeit (präpubertäre Verführung bzw. Missbrauch des Kindes/Pubertät/postpubertäre Umschrift des Geschehenen, das „ein anderes Verständnis des Erinnerten ermöglicht“, das mit der Sprengkraft eines Molotowcocktails die alte Ordnung des Erinnerten in die Luft fliegen lässt. Und das Material (Antwort der Träumerin auf die Deutung könnte uns vermuten lassen, dass zwischen den Szenen – wie in der Falldarstellung Freuds (Emma) – die Pubertät der Träumerin liegt: „Nach eindrücklich schlimmen Jahren mit Missbrauchserfahrungen, welche in der Welt meiner Mutter nicht sein durften, gab es einen Versuch bei meinem Vater zu Leben (in meinerm 12 Lebensjahr) dieser scheiterte an seiner Überforderung (beides übrigens Therapeuten / Familientherapeuten ) und ich musste wieder zurück zu meiner Mutter. Meine Halb- wie Stiefschwester hatten weiterhin einen sicheren Ort eine Familie mit meinem Vater.“ Damit sehen wir uns verführt zu einer Deutung, die Freuds Theorie nur bis 1896 reproduziert berücksichtigt, die aber wegen der Übereinstimmung des sexuellen Missbrauchs sowohl bei Emma als auch bei unserer Träumerin durchaus auch sinnvoll erscheint. Nun kommt aber hinzu, dass man die Freudschen Theorie dieser Zeit auch als Zeit der „Verdrängung als ausschliesslich pathologische Abwehr“ bezeichnen könnte, während wir heute von der späteren Theorie Freuds ausgehen, dass die Verdrängung (im Zusammenhang mit dem Untergang des Ödipus-Komplexes) nicht per se pathologisch ist. Hat das Auswirkungen auf die Deutung des Traumes, wie wir sie eben an-gedeutet haben (Taschentuch/Pubertät/Molotowcocktail)? Ich denke, dass es sich lohnt, nochmals der Bemerkung Laplanches nachzugehen, wonach die zweite Szene mehr Erregung provoziert als die Szene selbst, … weil sie von innen kommt.“ Und, weil dazwischen die Pubertät liegt: „die Pubertätsverspätung ermöglicht posthume Primärvorgänge“ (Freud 1950c [1895], S. 451). Wir neigen dazu, in unserer ersten Deutung des Traumes von folgender Überlegung auszugehen: der sexuelle Missbrauch des (präpubertären) Mädchens (Taschentuch) zeigt in der Latenz noch nicht seine explosive Destruktivität; die Erinnerung daran durch die (postpubertäre) Jugendliche oder junge Frau hingegen (Molotowcocktail) löst die Explosion aus. Das aber ist nur denkbar, wenn sich etwas grundlegend verändert hat. Verändert hat sich natürlich die Sexualität. Die junge Frau kennt sexuelles Begehren, das – ohne den sexuellen Missbrauch in der Kindheit – zwar auch stets konflikthaft und mit Angst verbunden wäre. Der Missbrauch hat zur Folge, dass das eigene Begehren höchst konflikthaft erlebt wird, so dass es scheint, als wäre es destruktiv. Wir wiederholen Laplanche: „Die Szene II‘ (Taschentuch-Wurf, H.B.) wird nur traumatisch, weil die Erinnerung daran traumatisiert einerseits, weil sie mehr Erregung provoziert als die Szene selbst, und andererseits, weil sie von innen kommt.“ Von innen kommt eben nicht einfach eine bislang verdrängte „Fotografie“ bzw. eine identische Abschrift des verdrängten Geschehenen des Missbrauchs. Vor allem erscheint das bisher Verdrängte in einer „Umschrift“: „Das wesentlich Neue an meiner Theorie ist also die Behauptung, dass das Gedächtnis nicht einfach, sondern mehrfach vorhanden ist, in verschiedenen Arten von Zeichen niedergelegt“ (Freud. 1986, S.217), wie es Freud in einem Brief an Fliess beschreibt.
Mit anderen Worten: Die Träumerin vermag uns damit mitzuteilen, dass das sexuelle Begehren sie in Gefahr bringt, weil der sexuelle Missbrauch es ihr verunmöglicht, ihr sexuelles Begehren „normal konflikthaft“ und „normal lustvoll“ zu erleben.
Weil ich dies alles in meiner Deutung nicht verstanden habe, konnte ich auch nicht würdigen, dass das Bestehen auf der „beschädigten“ Sexualität (z.B. Teil 3 der ursprünglichen Deutung) nicht allein im Zeichen des Neides auf die Schwester zu lesen ist, sondern ebenso als Beschreibung der gereiften Träumerin, welche „das Terrain der Schwester“ (lustvoll erlebte Sexualität) erobert.
– … wunderbar, Dein Ansatz, das Denken von Laplanche auf den Traum anzuwenden und ich würde wirklich sagen, dass Du damit das aufgeriffen hast, worum es in obigen Gedanken ging. Die waren ja nicht als Kritik zu verstehen, sondern als Versuch, da noch etwas weiterzugehen und nicht bei einer Deutung, einer bestimmten Deutung oder bei der Bestimmtheit einer Deutung zu bleiben. Das ist natürlich genau das, worum es bei der Nachträglichkeit geht, das nämlich ein früheres Erlebnis – und dabei sage ich mit Absicht nicht frühes Erlebnis, um den Anschein zu vermeiden, dass dieses frühe oder dann sehr frühe Erlebnis das erste und ursprüngliche wäre – etwas in sich trägt – und dann auch weiterträgt oder weiter überträgt –, was in einem späteren Erlebnis, und dessen symptomatischer Dynamik, zu einer Bedeutung kommt, die in ihm schon angelegt, aber noch keine spürbarere und festmachbare Wirkung hatte. Das heisst, das zweite, nachträgliche Erlebnis oder Ereignis gibt dem ersten eine Bedeutung, die dieses so noch nicht hatte – in ihm aber diffus, nicht fassbar angelegt war –, was auch heisst, dass die Bedeutung, die dann zur symptomatischen Dynamik führt, dort schon angelegt war. Das Interessante an dieser Nachträglichkeit ist die Zweizeitigkeit, die Ungleichzeitigkeit, die eine Dekonstruktion des linearen Verständnis nicht nur von Zeit, sondern von Entwicklung mit sich bringt. Es ist diese Dekonstruktion des sekundären Denkens und seiner Linearität, Kausalität, die der Primärprozess und nicht zuletzt der Traum vornimmt, in dem das Ende der Anfang und umgekehrt der Anfang das Ende sein kann.
Es ist also sehr spannend und wunderbar, was Du da ausführst, und ich würde Deiner Bemerkung, dass der Autor vorführt, dass es die Psychoanalyse nicht einfach gibt, sondern dass sie erschaffen wurde, noch hinzufügen, dass sie immer wieder neu erschaffen werden muss, von jedem einzelnen Psychoanalytiker, und zwar sowohl als Theorie wie auch als Praxis.
Ich bin auch mit allem Weiteren, was Du zur Zweizeitigkeit für den Traum und für die Träumerin und dem damit erweiterten Verständnis des Traums ausführst, ganz und gar einverstanden, würde aber auch hier versuchen, einen Schritt weiterzugehen, und das Moment der Zweizeitigkeit so erweitern, dass es über das «Zwei» hinausgeht und dann nicht nur das Moment der Zeit betrifft, sondern ganz generell das der Produktion – die Du ja mit dem «Erschaffen» der Psychoanalyse ins Spiel gebracht hast – ergänzen. Dabei würde ich dieses Erlebnis, das nicht nur ein frühes, sondern ein früheres ist, als ein Ereignis verstehen, in dem etwas passiert ist. Ereignis ist es insofern als etwas passier,t mit dem Kind passiert ist, das für es nicht fassbar war, das eine Irritation ausgelöst hat, das also die Konfrontation mit etwas oder jemand Anderem gewesen ist. Ein Ereignis ist im Sinne Derridas die Konfrontation mit dem Anderen, ist ein Schlag in jedem Sinn, in jeder Hinsicht. Ein Schlag, der nicht verstanden, nicht eingeordnet werden kann, dessen Bedeutung also darin besteht, dass es nicht fassbar, nicht greifbar, nicht verstehbar, sondern irritierend ist. Dieses Ereignis trägt also etwas von dem Unbekannten in sich, das Freud dann das Unbewusste nannte, das wir auch mit der Anonymität der Herkunft des Traums meinen. Er kommt von irgendwoher, ist nicht so genau zu lokalisieren, trägt diese Dimension des Unverständlichen in sich, trägt diese Dimension weiter, überträgt sie weiter.
Und weiter wohin? In die da entstehende Produktion, die darin besteht, eine Form für dieses Nicht-Fassbare zu schaffen, eine Form, die der Versuch einer Bestimmung des Unbestimmten darstellt, wobei diese Bestimmung eben keine endgültige Bestimmung sein kann, da sie das Unbestimmte in sich trägt, das sich weiter überträgt und deshalb nicht anders kann, als immer weiter eine andere und neue Form zu suchen, deshalb nicht anders kann als sich immer weiter fortzuschreiben, als sich immer weiter zu schreiben.
Das ist diese Dynamik, in dessen Feld sich die Psychoanalyse bewegt, insofern es in ihr ja immer um das verlorene Objekt geht, das aber nicht eines ist, dass es gegeben hat, eben nicht ein bestimmtes – so wenig wie der Nabel des Traums, den Freud mal mit der Brust der Mutter ausmacht, eine bestimmte Brust, die Brust dieser bestimmten Mutter wäre, auch nicht die allgemeine Brust der Mutter schlechthin, sondern eine Chiffre für dieses Diffuse, sich immer wieder entziehende dieses Ereignisses, das nicht einfach ein Anfang, viel mehr eine Herausforderung ist –, sondern diese Leerstelle des Wunsches, der seinerseits nicht anders kann als sich fortzuschreiben, das Objekt immer wieder herzustellen und kreieren, zu erschaffen, wie Du geschrieben hast.
Diese Sichtweise geht dann weit über dieses «Zwei» hinaus und ist eine Produktion, die auch Zeit erschafft, und zwar als eine, die nicht linear ist, sondern sich immer wieder umkehrt, zurückwendet – nicht unähnlich wie die «Rück»-sicht auf Darstellbarkeit, die den Traum formt und herstellt.
Deshalb bin ich weiter vorsichtig, diesen Dingen immer schon den Missbrauch zu unterstellen, der ja dann immer schon ein bestimmter ist, dieses Trauma, das dann immer schon ein bestimmtes ist. Vielmehr neige ich viel mehr zu der Sichtweise, dass dieses Trauma eben nicht einfach das bestimmte ist – was es sicher auch geben kann –, sondern das Unbestimmte und Nicht-Fassbare des Ereignisses, das – so könnte man sagen – das Leben ist, das so eben als Sexualität verstanden wird, die sich immer weiter fortschreibt, die sich immer weiter treibt, die eben Trieb ist. Was Freud ja dann im Jenseits des Lustprinzips besonders akzentuiert hat.
Diese Verhältnisse beschreibt Laplanche ja als Rätselhaftigkeit des Signifikanten, neigt aber dazu, diese Rätselhaftigkeit dem damaligen Erlebnis/Ereignis so zuzuschreiben, dass es sich dabei um ein gewaltvolles Missbrauchserlebnis handelt, das in dem Machtgefälle zwischen dem oder den Erwachsenen und dem Kind begründet ist. Deshalb hebt er ja beim Inzest hervor, dass es nicht das Inzestuöse ist, was da pathogen wäre, sondern dieses Machtverhältnis. Aber vielleicht ist diese Macht nicht einfach eine zwischen Erwachsenen und Kind, sondern noch unbestimmter die Gewalt eines Einbruchs des Anderen, die eine mögliche Bestimmung in dem Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kind hat. Dieses wäre dann bereits ein Versuch einer Enträtselung, ein Versuch eine Form für das Ungeformte zu finden oder zu kreieren, die das Rätsel weiter in sich trägt, in die sich das Rätsel als Unbestimmtes und Unbekanntes übertragen hat, so dass es damit nicht zu einem Ende kommt. Man könnte – in anderen Termini, die uns ja in letzter Zeit viel interessiert haben und interessieren, nicht zuletzt auch bei und mit der KI – auch sagen, dass dieses Machtverhältnis eine Medialisierung dieses Unbestimmten ist, von dem es noch andere gibt und gar nicht anders kann als noch andere zu geben.
Darin würde sich das Triebhafte der Sexualität manifestieren, die bei Freud ja ohnehin ein sehr ausgedehnter Begriff ist, bei dem es um Lust geht, um die Lust am Leben, um die Lust am Überleben. Und diese Lust, was sich nicht zuletzt in der vielschichtigen Bedeutung des Überlebens zeigt, ist eine, die immer mit Schuld verknüpft ist. Und in der Verschränkung mit der Schuld immer noch grösser wird, was dann psychoanalytisch sich nicht zuletzt im Ödipus-Konflikt manifestiert und festsetzt. Insofern ist auch der dieser Dynamik nicht fremd, sondern gehört dazu, als der Konflikt, in der Lust und Schuld amalgamiert sind und sich genau darin immer weiter und weiter treiben.
Konkret würde das in Bezug auf den Traum und die Träumerin auch heissen, dass dieses Terrain der Schwester – neidvoll und lüstern gleichzeitig besetzt – ebenfalls nicht die Endstation Sehnsucht sein dürfte, dass es auch dort weitergehen wird, sich von dort aus weiterschreiben wird.
Demnächst in diesem Theater …
Das heisst zunächst, dass wir an der Jahrestagung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) vom 8.-11. Mai 2024 in Berlin einen Workshop machen werden, den wir folgendermassen angekündigt haben:
Manuela Köberlein und Victoria Preis (DPG-Ausbildungskandidatinnen am IPB, Berlin) mit Heinrich Bader, Felix Börner, Deniz Bozyigit, Olaf Knellessen und Fabian Ludwig (Verein The Missing Link, Zürich)
Workshop: Der Traum als Herausforderung des Selbst.
Künstliche Intelligenz als Teil der Traumarbeit, der Traummaschine?
Anhand des Traums möchten wir zeigen, wie sehr das Selbst im Zeichen des ständigen Prozesses zwischen seiner Auflösung und seiner Neu-Konstruktion steht – und in dem Sinn mindestens ebenso sehr eine Leerstelle ist wie eine definierte Entität. Mit den Mechanismen von Verdichtung, Verschiebung und der Rücksicht auf Darstellbarkeit ist die Traumarbeit das Feld, in dem immer wieder neue Formen und Figurationen des Selbst und des Anderen gebildet werden.
Wir, die Mitglieder der Traumstation und ihres Podcasts, Psychoanalytiker:innen und psychoanalytische Ausbildungskandidat:innen, praktizieren seit längerer Zeit ein Format der Traumdeutung, das von der Traumtheorie Fritz Morgenthalers und den von ihr inspirierten Traumgruppen, wie sie Reimut Reiche durchgeführt hat, aus- und darüber hinausgeht. Neuerdings haben wir begonnen, dabei Künstliche Intelligenz miteinzubeziehen, bei welcher der technische Aspekt der Traummaschine im Zentrum steht. In unserem Beitrag wollen wir der Frage nachgehen, inwieweit sich Technik und kreative Phantasie ausschliessen oder wie sie aufeinander bezogen sind. Kann die KI dabei helfen, Einsicht zu erlangen, oder fördert sie die Verleugnung, indem sie die Illusion der Unabhängigkeit, der Nichtangewiesenheit auf ein Gegenüber und somit die omnipotenten Größenphantasien befördert? Oder: Wie ist es andererseits mit der Verleugnung, die sich hinter unseren eigenen Größenphantasien von Unersetzlichkeit und Hort von Berührbarkeit verbergen?
Wir möchten an der Tagung im Rahmen eines Workshops einen Raum für diese Auseinandersetzung eröffnen, indem wir Träume gemeinsam mit Chat-GPT und den Teilnehmer:innen deuten, um so Perspektiven nachzugehen, die aus dem Dilemma des regressiven Zustands der Verleugnung und der „Einsichtslosigkeit, die sich bei den besten Köpfen zeigt“ (Freud 1915), herausführen könnten.
Weiter wird Fabian Ludwig den Faden an der nächsten geplanten Veranstaltung zum Placebo mit einem Beitrag zur Satanic Panic weiterspinnen.
DIE ERSTEN TRAUMSTATIONEN IM HERBST 2019
Träume bleiben nicht nur bei sich, sie sind ein Überschuss und gehen über sich hinaus, erzählen sich weiter, gehen in unseren Tag, in unser Denken, in unser Tagwerk ein. So wie Fehlleistungen ein Hinweis darauf sind, dass alle unsere Leistungen immer noch von etwas anderem zeugen, so sind Träume Teile dieser Wirklichkeit, in der wir leben, in der wir uns bewegen.
In diesem Sinn wollten wir mit den Träumen auch raus aus den Praxiszimmern und eröffneten in Kooperation mit dem Theater Neumarkt die Traumstationen. Als T Raumstationen sollten sie für Träume sensibilisieren, sie einfangen und mit Deutungen beantworten. An verschiedenen Orten, in Bibliotheken, Hotels, Restaurants, in Buchhandlungen und Bars stellten wir Traumboxen auf und luden die Besucher ein, da ihre Träume einzuwerfen. Wir versprachen Ihnen mit einer Deutung zu antworten.
Die Eröffnung dieses 10 wöchigen Projektes fand am Open House des Theaters Neumarkt am 21. September 2019 statt. Open House wurde ganz wörtlich verstanden, indem das Haus auf die Strasse vor dem Theater ging und wir dort mit einem Paravent eine Couch mit Sessel und dazugehörendem Tischchen aufstellten. Angeschrieben war unser Angebot Träume zu deuten mit Via Regia.
Natürlich schien es vielen – uns eingeschlossen – zunächst etwas befremdend, sich auf der Strasse auf eine Couch zu legen und sozusagen in aller Öffentlichkeit einer ja unbekannnten Person einen Traum zu erzählen. Bald aber war der Bann gebrochen und eine nach dem anderen legte oder setzte sich und erzählte, wir hörten zu, antworteten mit unseren Gedanken und Eindrücken, es entstanden intensive und angeregte Gespräche zu den Träumen, den Geschichten und ihrer Bedeutung. Und es hörte, nachdem es mal angefangen hatte, nicht mehr auf bis spät am Abend. Für uns war es eindrücklich, wie sich inmitten von anderen, die durchaus stehen blieben und manchmal interessiert zuschauten, sich mit dem Erzählen des Traumes eine Atmosphäre und ein Raum von Intimität herstellte, die offene Gespräche ermöglichte, und es wurde uns klar, dass dieser Raum und diese Intimität vor allem durch den Traum und das Erzählen hergestellt wurde.
Als Überraschung an diesem Anlass liessen wir dann am späten Nachmittag einen riesigen Strauss von mehr als 100 bunten Luftballons in die Luft steigen. An jedem war ein Kärtchen angebracht, das man wieder an uns zurückschicken konnte, mit einem Gutschein nicht nur für eine Traumdeutung, sondern auch zur Teilnahme an der Veranstaltung Traum Agent – Agent Traum, die Ende November im Theater Neumarkt als Abschluss des Projekts und zur Preisverleihung von The Missing Link und Link 2 Future veranstaltet wurde.
Mit der Eröffnung ging es dann los mit den Träumen – auf allen Kanälen, in allen Medien. Die Presse hat berichtet, in der WOZ erschien beispielsweise ein von uns geschriebener Artikel zum Traum und seiner Deutung, in dem mehrere Kolleginnen unabhängig voneinander den gleichen Traum Von der Löwengrube deuteten. Auf Facebook und im Netz kursierten die T Raumstationen.
Träume draussen, auf allen Kanälen und in allen Medien, hiess zudem, dass wir auch eine Email-Traumstation unter der Adresse traum@psychoanalyse-zuerich.ch eingerichtet haben – die im Übrigen wieder aktiv ist –, an die man Träume schicken konnte, von der dann Deutungen zurückkamen. Darüber hinaus haben wir eine telefonische Hotline eröffnet, auf der man nicht nur Träume aufsprechen – natürlich mit Rückantwort per mail oder per Post –, auf der man sich zudem Träume anderer anhören konnte – wenn man beispielsweise nachts nicht schlafen konnte oder sonst in diese andere Welt eintauchen wollte.
Und schliesslich hatten wir noch eine mobile Traumstation, die Velo-Rikscha Via Regia, mit der wir in die Stadt fuhren und an bestimmten Standorten, Passanten einluden, einen Traum zu erzählen. Anfangs planten wir mit der Rikscha die Traumerzähler durch die Stadt zu fahren und dann im Fahren den Träumen zu lauschen und auf sie zu antworten, es stellte sich aber heraus, dass die Anforderungen an fahrerisches Können und gleichzeitiger Konzentration auf das den Traum noch ein wenig Übung bedurften. Vielleicht schaffen wir es dann beim nächsten Mal.
Nichtsdestotrotz war es auch bei dieser mobilen Traumstation, die ja mit Absicht die Öffentlichkeit aufsuchte, frappant auf welches Interesse dieses Setting gestossen ist. Die Welt rundum war einerseits präsent und verwandelte sich im selben Moment, es schien als würde sie mitklingen in der Erzählung des Traums.
Die Traumstationen waren ein Erfolg, wie wir ihn uns nicht vorgestellt haben. Träume über Träume kamen herein und der Deutungspool aus Kolleginnen und Kollegen des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ) hatte sozusagen alle Hände voll zu tun. Und es war für uns alle nicht nur ein Erlebnis, sondern eine Erfahrung, wie wir sie noch selten gemacht haben. Das andere Setting, in der Regel keine Angaben zu den Träumerinnen zu haben, war eine Herausforderung, die uns beschäftigte, unseren Austausch intensivierte und immer spannender machte, wir haben ungeheuer viel gelernt dabei.
So haben uns zunächst anonym in die Traumboxen eingeworfene Träume irritiert, weil wir ja nicht antworten konnten, weil wir keinen direkten Adressaten hatten. Sehr schnell wurde aber klar, dass wir diese Eingaben deuten und diese Deutungen aufbewahren, dass die Anonymität, die durch diese Traumboxen möglich wurde, einen Aspekt hervorhob, der durchaus für Träume generell gilt: dass sie anonym sind, dass sie von irgendwoher kommen, man nicht immer so genau weiss, woher, das sie nie genau beantwortet werden kann, dass auch der Adressat, selbst wenn er auf der Couch liegt, nicht immer so klar, immer auch noch ein anderer ist.
Dass gerade in solchen Träumen Fragen und Themen auftauchten, die über die Person und das Persönliche hinausgingen, Politisches, Aktuelles, auch Jahreszeiten beispielsweise umkreisten, schien uns dann nicht mehr erstaunlich, weil darauf die Anonymität hinweist: dass es nicht nur um die Person geht, auch wenn sie nicht ausgeklammert ist, als Medium, als Ort, an dem sich der Traum aktualisiert.
Die Reaktionen waren weitgehend sehr positiv, einzelne Träumer schickten immer wieder einen Traum, wollten noch mehr wissen und erfahren, viele von ihnen gaben auch ihr Einverständnis, dass wir ihre Träume – natürlich in anonymisierter Form – für eine eventuelle Publikation verwenden dürfen. Natürlich gab es Reaktionen, die enttäuscht über unsere Deutungen waren, unzufrieden und auch verärgert. Wir haben diese Kritik immer versucht für uns aufzunehmen und die Deutungen weiter zu treiben. Und die natürlich nicht unprovokative Frage, ob wir denn Anfänger seien, hat durchaus getroffen und auch ihre Richtigkeit. Das ist die Situation, vor die uns der Traum immer stellt, in der wir ihm immer begegnen: Anfänger zu sein. Was wir auch als Anregung für das Verständnis der psychoanalytischen Aus- und Weiterbildung nehmen.
Deshalb werden wir die Auseinandersetzung mit dem Traum und den Träumen – und vielleicht ist der Traum ohnehin immer einer im Plural – weitertreiben. Der Traum selbst hört ja auch nicht einfach auf, erzählt sich weiter, bildet sich weiter, nimmt immer neue Formen an, nicht nur in den Erzählungen, auch in den Deutungen und auch in unserem Tun und Lassen, in das er eingeht.
Ein Ort dieser Auseinandersetzung war dann die Veranstaltung Traum Agent – Agent Traum, über die wir an dieser Stelle demnächst berichten werden. Dazu muss erst diese Website in ihrer programmierten Struktur umgebaut werden. Auch ein Produkt der Traumstationen, der Träume.
Das ganze Projekt wurde von Künstlerinnen und Künstlern nicht nur begleitet, sondern durch den Austausch mit ihnen wesentlich mitgeprägt. So hat Claudia Maria Lehner den grafischen Auftritt des Projekts und die Traumstation in der Stadtbibliothek Winterthur künstlerisch gestaltet, Raphael Perret hat die Email-Traumstation mit Künstlerfreundinnen aus der ganzen Welt erweitert, so dass wir beispielsweise Träume aus der Sahara und aus dem brasilianischen Regenwald bekamen, Caroline Schreiber hat für die WOZ den Traum mit einer Zeichnung gedeutet und an der Veranstaltung ihrerseits ein Setting mit Couch, Sessel, Papier und Farbstiften installiert und Träume der Teilnehmerinnen gezeichnet, wobei diese Zeichnungen dann auf eine riesige Rampe projiziert wurden, die in den Zuschauerraum des Theaters kragte, so als kämen sie nicht nur aus einer anderen Welt, sondern würden diese erschaffen. Una Szeemann liess in ihrer Performance Oneironautics Träume vielstimmig durch den Saal des Theaters sich bewegen, so dass sie an einem vorbeizogen, dort Halt zu machen schienen, gleichzeitig schon wieder woanders waren. San Keller klingelte in seinem Projekt Die Halbschlafenden in einer Nacht bis in den frühen Morgen an Wohnungen in den Strassen von Zürich und fragte die Bewohner über die Gegensprechanlage nach den Träumen, die sie gehabt haben. Die Gespräche über die zitternde Verbindung der Sprechanlage hat er aufgenommen und an der Veranstaltung präsentiert, dabei die Verzerrungen, Störungen, die Intensität des nächtlichen Traumgeschehens auf immer auch witzige Art und Weise vorgeführt. Rupert Jaud gestaltete einen Audiowalk zum und im Rechberggarten in der Nähe des Theaters Neumarkt, auf dem man über Kopfhörer und GPS nicht nur den Traum in den Traum von der Löwengrube, sondern noch in viele andere Träume aus den Traumstationen eintauchte, die sich begegneten, überschnitten, wieder entfernten und aus anderer Richtung wieder riefen und so einen ganz eigenen Kosmos in diesem barocken Garten bildeten. Schliesslich hat Andres Bosshard an der Veranstaltung der Nacht der 1001 Träume eine musikalische Form gegeben, sie zum Klang gemacht, das Erzählen der Träume unter den zahlreichen Besuchern die ganze Nacht hindurch nicht nur begleitet, sondern ihr Töne gegeben und sie zur Musik gemacht, die dann den Schlaf mit einer Klangreise rund um die Welt einhüllte, in der man vom Bartender Husam Suliman mit seinem Getränkewagen immer neue Drinks serviert bekommen konnte, um wieder in die Klänge, die Träume und ihren Schlaf einzutauchen.
Die erwähnte Publikation ist in Vorbereitung. Sie wird von den Erfahrungen berichten, die Träumerinnen und Traumdeuter in diesem Projekt gemacht haben, wird diese Erfahrungen mit Beiträgen der am Deutungspool Beteiligten weitertreiben, sie mit Beiträgen aus anderen Disziplinen und Künstlerinnen und Künstlern vermischen und versuchen, nicht nur über Träume zu schreiben und zu denken, sondern etwas von dem Geschehen spürbar zu machen, das sie sein können und sind.
Weil wir sehr bald nach der Veranstaltung die so eindrückliche und prägende Auseinandersetzung mit den Träumen vermisst haben und diesen Puls, diesen Motor der Träume im Lauf halten wollten, weil wir auch glaubten, dass diese Auseinandersetzung für uns als Psychoanalytikerinnen zu unserer nie abgeschlossenen Ausbildung und Bildung viel beitragen kann, haben wir – zudem aus aktuellem Anlass der Corona-Krise – die Email-Traumstation wieder aktiviert.
So sind Ihre Träume wieder unter traum@psychoanalyse-zuerich.ch willkommen, wir werden die Verbindung zu ihnen und zu Ihnen digital weiterspinnen, die Bilder dieser Zeit aufnehmen und mit Ihnen weitertreiben.
Dazu haben wir neu das Medium der Podcasts beigezogen. Träume sind immer auch mediale und polyphone Ereignisse. Was natürlich auch für ihre Deutungen gilt, die ja Teil von ihnen sind, Formen und Formate, in die hinein sie sich fortsetzen. So haben wir begonnen, eingehende Träume immer wieder auch zu dritt – per Skype – zu deuten, diese mehrstimmigen Deutungen als Audiodateien aufzunehmen. Beim Einverständnis der Träumerinnen werden diese Deutungen als Podcasts veröffentlicht und jeden Sonntag durch neue Deutungen fortgesetzt.